Heinrich Moritz
Chalybäus war ein bekannter Philosoph. Er arbeitete zuerst als
Hauslehrer in Wien, dann als Lehrer an der Kreuzesschule in Dresden,
an der Fürstenschule in Meißen, an der Ritterakademie in Dresden. 1839
wurde er an die Universität Kiel (Dänemark) berufen, 1852 aber von der
dänischen Regierung mit neun weiteren Kollegen wegen deutschnationaler
Gesinnung des Amtes enthoben.
Er gehörte zum sog.
Neu-Schellingianismus, der in Opposition zum Pantheismus Hegels einen
spekulativen Theismus zu entwickeln suchte, wobei er der praktischen
Vernunft eine grundlegende Bedeutung gab. Seine wichtigsten Arbeiten
sind Die historische Entwicklung der speculativen Philosophie von
Kant bis Hegel (1837; 5. Auflage 1860) (translated),
System der Wissenschaftslehre (1846) und System der speculativen
Ethik (1850).
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Heinrich Moritz Chalybäus
1796-1862. - Quelle.
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Mein Großvater Walther Zenker schreibt in seiner Biographie:
Mein Großvater, Heinrich Moritz Chalybaeus, entstammte einer sächsischen
Pfarrersfamilie, die in mehreren Generationen das Pfarrhaus von Pfaffroda
bewohnt hatte. Er selbst, Meissner Fürstenschüler von besonderer Begabung,
hatte sich der Philosophie zugewendet und lebte seit Ende der 30er Jahre
als Professor der Philosophie an der Universität Kiel. Vorher war er
Professor an der Fürstenschule und dann am Dresdner Kadettenhause gewesen;
in dieser Zeit ist meine Mutter in Dresden-N. am 20. April 1832 zur
Welt gekommen. Mein Großvater und seine zweite Frau, Luise geb. Kohlschütter,
(die Schwester meiner anderen Großmutter), waren in Kiel ganz zu Holsteinern
geworden und noch viel mehr seine Kinder. Großvater hat in der dänischen
Konfliktszeit als Verbannter eine Zeit lang in Leipzig doziert. Sein
ältester Sohn, Onkel Robert, trug stolz ein steifes Bein und das Erinnerungskreuz
von der damals freilich noch erfolglosen Befreiungsschlacht bei Idstedt.
In Kiel lebte damals [1874] als Konsistorialrat
der von mir besonders hochgeschätzte und sehr geliebte Onkel Dr. jur.
Heinrich Chalybaeus (später Präsident des Konsistoriums in Kiel und
Präsident des Landeskonsistoriums in Hannover, als D. theol., Wirkl.
Geheimrat und Excellenz in Kiel gestorben) mit unserer lieben Tante
Amalie, geb. Jepsen. In der Nähe von Kiel war der jüngste Bruder, Onkel
Walther, Pfarrer im Bordesholm (später Propst in Alt-Rahlstedt).
Artikel in "Allgemeine
Deutsche Biographie", Band IV, 1876, (Originaltext
in deutscher Schrift.)
Chalybäus,
Heinrich Moritz, geb. 3 Juli 1796 in Pfaffroda im sächsischen Erzgebirge,
22. Sept. 1862. Sohn eines Pastors, welcher seinerseits seinem
Vater in Pfaffroda im Pastorenamte nachgefolgt war, trat er im Oct.
1810 in die Fürstenschule zu Meißen ein, woselbst allerdings
die ungewohnte Clausur und der dort herrschende Pennalismus drückend
wirkten, so daß er theils in Melancholie versank, theils sich
durch dichterische Versuche aufrichtete, jedenfalls aber das Ende der
Lernzeit herbeisehnte. Im März 1816 bezog er die Universität
Leipzig, um Philologie zu studieren, deren Behandlungsweise jedoch (bei
Christ. Dan. Beck) ihn ebenso unbefriedigt ließ, als die philosophischen
Vorlesungen Krug's und Platner's; hingegen las er für sich Spinoza
und Jacobi, wobei ihn das Gefühl überkam, daß sein Glaube
wankend geworden, doch widmete er sich neben philologischen Vorlesungen
bei Gottfr. Hermann nun dem Studium der Theologie (bei Keil, Illgen,
Tittmann), wobei er nach dem Tode seines Vaters (Juli 1818) durch einen
Onkel einigermaßen Unterstützung fand; das theologische Examen
aber, welchen er sich im Mai 1819 unterzog, hatte ein wenig genügendes
Ergebnis. Bald darauf erhielt er den Antrag, eine Erzieherstelle beim
Banquier Geymüller in Wien zu übernehmen, worauf er sich auch
einließ, aber vorerst noch in Leipzig blieb, wo er um Fastnacht
1820 das philosophische Doctor-Examen mit bestem Erfolge bestand.
In Wien hatter er
unter ziemlich schwierigen Verhältnissen zu wirken, doch erwarb
er im dortigen Umgange eine Feinheit des Benehmens, welche ihm auch
fortan verblieb. Im März 1822 schied er aus dem Geymüller'schen
Hause und begab sich nach Dresden, wo er Privatunterricht ertheilte,
aber bald auch eine Anstellung als Collaborator an der Kreuzschule fand.
In dieser Zeit schrieb er eine Novelle "Der Christabend",
welche in Wien im Mercur erschien und von mehreren anderen Aufsätzen
im Litteratur-Blatt gefolgt war. Mit Neujahr 1825 übernahm er eine
Professur an der Fürstenschule zu Meißen, wo er Rhetorik,
Moral und auch Theologisches zu lehren hatte, im März 1826 verheiratete
er sich mit Clara v. Kretschmar, welche ihm jedoch schon 1828 in Folge
des zweiten Wochenbettes durch den Tod entrissen wurde.
Er siedelte nun
im Herbste 1828 als Professor der Militärakademie nach Dresden
um, wo er einerseits als Frucht seiner philologischen Studien eine "Geschichte
der Römer, von der Gründung des Staates bis zum Untergange
des abendländischen Kaiserthums" (1829 und 32, 2 Bde) herausgab
und andererseits wiederholt Vorlesungen philosophischen Inhaltes vor
größerem Publicum hielt, woraus allmählich sein bekanntes
Werk "Historische Entwicklung der speculativen Philosophie von
Kant bis Hegel" (1835) entstand; dasselbe fand so allseitigen Beifall,
daß es nicht nur in Deutschland fünf Auflagen erlebte (die
letzte 1860), sondern auch in zwei englischen Uebersetzungen erschien
(die eine von Tulk, London 1854, die andere von Alfr. Edersheim, Edinburgh
1854). Eine andere entscheidende Folge aber dieser trefflichen Leistung
war es, daß Ch. im J. 1839 einen Ruf als ordentl. Professor der
Philosophie an die Universität Kiel erhielt. Hier fand er den seinem
Wesen geeigneten Wirkungskreis und verbrachte in schlichter Einfachheit
heitere Jahre in einem schönen Familienleben, welches er durch
Eingehung einer zweiten Ehe mit Louise Kohlschütter noch in Dresden
(1831) begründet hatte; dazu boten auch die Verhältnisse der
Kieler Universität in den vierziger Jahren einen hohen Reiz durch
das Zusammenwirken eines ganzen Kreises hervorragender Männer,
welche durch aufrichtige Freundschaft mit einander verbunden waren (besonders
innig schloß sich Ch. an Dorner und E. Herrmann an). So begann
auch eine Periode reicher schriftstellerischer Thätigkeit, indem
Ch. — abgesehen von Recensionen in der Jenaer Litteraturzeitung und
im Litterarischen Centralblatte — mehrere kleinere Schriften veröffentlichte
("Phänomenologische Blätter", 1840, "Die moderne
Sophistik", 1842; ferner verschiedene Beiträge in der Fichte'schen
Zeitschrift, nämlich "Die ethischen Kategorien der Metaphysik",
"Ueber das Verhältnis der Metaphysik und Ethik", "Ueber
den objectiven und subjectiven Anfang der Philosophie") und hierauf
eine größere Arbeit: "Entwurf eines Systems der Wissenschaftlehre"
(1846), sowie sein Hauptwerk "System der speculativen Ethik"
(1850, 2 Bde.) folgen ließ.
Doch blieb ihm auch
eine vorübergehende Trübung seiner Stellung nicht erspart.
Nachdem nämlich die dänische Regierung von einem hochgestellten
Theilnehmer der schleswig-holsteinschen Bewegung den früher verliehenen
dänischen Orden zurückgefordert hatte und als Antwort hierauf
seitens mehrerer deutschgesinnter Männer, worunter auch Ch., die
unaufgeforderte Rücksendung der dänischen Orden gefolgt war,
knüpfte die Regierung hieran im Frühjahre 1852 die Maßregel,
daß sie, als nach Unterwerfung Schleswig-Holsteins sämmtliche
Beamtenbestellungen behufs neuer Bestätigung eingefordert wurden,
dem Ch. und noch sieben anderen Professoren diese Bestätigung versagte.
Da die Hoffnungen, welche Ch. auf Anstellung an einer anderen Universität
setzen durfte, sich nicht verwirklichten, siedelte er im Frühjahr
1854 nach Sachsen über, um in Leipzig als Privatdocent aufzutreten;
aber fast unmittelbar nach seiner Abreise von Kiel wurde er zu seiner
Ueberraschung von der Regierung an seine vorige Stellung zurückgerufen.
In der Zwischenzeit war seine Schrift "Philosophie und Christenthum"
(1853) erschienen, und es folgte noch außer einem Aufsatze "Die
speculative Erkenntniss Gottes" (in d. Jahrb. f. deutsche Theologie,
1857) ein die tieferen Systemfragen wieder aufnehmendes Buch "Fundamentalphilosophie"
(1861). Um dieselbe Zeit (1860) hatte ihn die Göttinger Facultät
honoris causa zum Doctor der Theologie creirt. Er starb auf einer Ferienreise.
Ch. gehörte
zu einer Gruppe geistesverwandter Denker, welch sämmtlich, wenn
auch in verschiedener Weise, einen speculativen Theismus zu begründen
und durchzuführen versuchten. Bereits in der polemischen Kritik,
welche er hauptsächlich gegen den Hegelianismus, mehrfach aber
auch gegen Herbart richtete, bildet den positiven Kern jene Ethikotheologie,
zu welcher Kant in Folge der praktischen Vernunft gelangt war. Nur stellt
Ch. den Willen und die sittlichen Momente sofort derartig an die Spitze,
daß ihm die Philosophie selbst lediglich als ein Wollen erscheint,
an welchem die Energie als die reale Seite und die Selbstergreifung
als die ideale Seite zu unterscheiden seien, während beide vereint
dem Ziele der absoluten Wahrheit zustreben. Dieses Princip der Philosophie
soll seine Vermittlung durch Logik, Ontologie und Erkenntnislehre finden,
um zur Idealität einer Teleologie zu gelangen, in welcher als Abschluß
von Substanz und Gesetz die absolute Geistigkeit erfasst werden soll.
Nämlich sowie teleologisch die körperhafte Natur als Kunstwerk
angeschaut wird und somit der Aesthetik anheim fällt, so gilt bezüglich
der selbstbewussten freien Wesen die auf Liebe sich aufbauende ethische
Lebensauffassung als die universelle und allein wissenschaftliche; dieselbe
entwickelt sich von der niedern Stufe der in Familie und Leben wirkenden
Eudaimonologie durch das Rechts- und Staatsleben hindurch zur religiösen
Sittlichkeit (Gottesreich). In dieser höchsten Stufe der Ethik
liegt der rückanknüpfende Uebergang zur speculativen Theologie,
insofern Gott nicht, wie bei anderen Theisten, als rein immaterieller
Geist zu fassen sei, sondern die absolute Geistigkeit der allgemeinen
Substanz in sich trage und somit in Gott die Liebe als schöpferische
sich zur Identität mit dem absoluten Wahrheitswillen zusammenschliesse.
So sucht Ch. von einem grundsätzlichen Standpunkte aus, in welchem
der sittliche Wille das primäre und das Wissen ein secundäres
ist, die Gegensätze der Immanenz und der Transcendenz versöhnend
zu vereinigen und auch vielfache Anknüpfungspunkte an die Principien
des Christenthums , an Trinität u. dgl. zu gewinnen. Solchen Anschauungen
hat er in seinen verschiedenen philosophischen Schriften mit sinnig
frommer Vertiefung, mit ehrlichem Streben und hingebendem Eifer das
Wort geliehen.
Prantl.