Brev från Erna Tietze ("Sibylle") till Märta den 11 juli 1946

Dresden, am 11. VII. 46

Meine liebe, liebe Märta,

Hab' Dank für Deinen Brief vom 11. VI. Du hast mir mit Deinen lieben Worten gut getan. Du als Mutter kannst ja ermessen, welch vernichtender Schlag mich getroffen hat. Ich weiß gar nicht, wie ich überhaupt weiter leben kann! Ich "ertrage" das Leben nur. Ich betäube mich mit Arbeit, um es aushalten zu können.

Ich sende Dir den Brief des Kameraden mit, durch den ich die Gewißheit vom Tode meines Jungen erhielt. Bis dahin hatte ich immer noch gehofft. Zuerst hatte ich fast sicher angenommen, daß er in Gefangenschaft sei, als ich von ihm nichts hörte. Es ist ja auch so ausgesucht, daß es ihn gerade hat treffen müssen; seine Chemnitzer Kameraden sind fast alle zurückgekommen.

Die Kopfverletzung, von der Förster schreibt, ist sicher die Todesursache. Ich habe im Küchwald-Krankenhaus selbst den Bericht des Arztes angesehen. Hans Christoph hatte noch einen Brustdurchschuß, den die Kameraden gar nicht bemerkt haben. Das ist die Todesursache gewesen, Herz- und Kreislaufsschwäche waren die Folge des Schusses. Ich glaube, er hat einen sanften Tod gehabt. Er ist am 27. IV. um 24 Uhr gestorben. Er kann aber auch nicht lange gelitten haben, denn am Abend des 27. ist er ja erst verwundet worden.

Am 2. IV. war ich noch bei ihm in Chemnitz, am 8. IV. war seine Freundin Karin noch mal bei ihm.

Ich weiß nicht, ob Du meinen ganzen Leidensweg kennst. - Als ich ausgebombt war - und zwar total - ging ich zu Nanna. Da gab mir auch Mutter 2 Nachthemden, 2 Paar dicke Strümpfe, 1 Schlüpfer von Dir, Suse überließ mir 1 kleines Handtuch, 1 Kopfkissenbezug u. 1 Bettuch, glaube ich. - das waren die Sachen, die bei ihr von Dir noch lagen. Ich schrieb Dir das damals gleich u. bedankte mich, - aber diese Post ist wohl nie angekommen. - Meine Schwester Else, die aus Görlitz flüchten mußte und mich nicht mehr in Dresden fand, ging nach Nerchau, wo sie glaubte, daß ich sei. Da sie nun nicht nach Dr. durfte, entschloß ich mich schweren Herzens, nach Nerchau zu ziehen. Eine Freundin hatte dort an der Schule eine Stelle für mich besorgt. Am 3. IV. ging ich hin u. erlebte das Kriegsende in Nerchau. Da wir nichts zum Wirtschaften hatten und uns niemand etwas gab, entschieden wir uns, noch mal nach Görlitz zu fahren, um aus der "Frontstadt" noch ein paar Sachen zu retten. Das war Ende März gewesen. Es glückte auch, u. w. hatten ... wenigstens einen Topf zum Kochen. Meine gute Schwester gab mir auch von ihren Sachen. Aber alles konnten wir ja nicht mitnehmen. Als sie in Juni 1945 dann zurückkam, war alles aus ihrer Wohnung gestohlen worden u. zwar von Deutschen, von der Hausmannsfrau. Aber wenigstens stehen ihre Möbel noch, allerdings zum Teil beschädigt. Diese Wohnung in Görlitz ist nun meine einzige Heimat. Leider kann ich aber nur sehr selten hin. Else darf nicht nach Dr. ziehen. Ich bekäme ja auch gar keine Wohnung.

Ich selbst zog dann unter großer Mühsal mit meinen Sachen auf dem "Koller" von Nerchau nach Dr. Viele Male habe ich die mühselige Eisenbahnfahrt gemacht, um alles, was ich besaß, - Hans Christoph hatte seine Sachen, als er rauskommen wollte, auch zu mir nach N. geschickt - nach Dresden zu retten. Hier habe ich nun ein leeres Zimmer gemietet. Durch gute Menschen - vor allem durch meine Freundin Ruth Wyneken u. eine Kollegin - ist es mir gelungen dies Zimmer mit eignen Möbeln auszustatten. Aber kein Stück paßt zum andern, - allein ich sitze nicht in fremden Sachen, das ist die Hauptsache. Ich wohne "mit Küchenbenützung", Du kannst ermessen wie unangenehm das ist, trotzdem die Wirtsleute sehr nett sind. Ich leide sehr darunter, stets dicht mit fremden Leuten zusammen leben zu müssen, - aber es ist ja nun alles so gleichgültig.

Ich bin recht einsam, - gut, daß ich viel Arbeit in der Schule habe. Ich bedaure so sehr, daß Du nicht da bist. - wenn ich auch für Dich von Herzen froh darüber bin. Du wärst mal zu mir gekommen! Wir zwei haben uns ja immer verstanden. Auch Hans Christoph hing an Euch. In seiner Brusttasche lag neben den Bildern von Karin und mir die kleine Photographie von Stephan, seinem Patenkinde. Er war ein treuer Mensch. - - -

- Meine liebe Märta, Du schreibst von einem Päckchen an mich an Mutters Adresse. Hab' Dank, 1000 Dank! Vorläufig habe ich von Mutter noch keine Nachricht darüber. Du schreibst, sie solle mir von Deinen Sachen geben z. B. Schuhe. Ach, das wäre sehr gut, da könnte ich Else doch manches zurück geben, sie lebt ja auch in großer Armut. - Ich scheue mich ein bißchen, Mutter deshalb zu fragen. Könntest Du es ihr nicht mal selbst schreiben? Du verstehst mich, nicht wahr?

Von Gerd bekam ich auch einen lieben Brief. Wie wird das nun mit Euch zweien? Hoffentlich kann er in absehbarer Zeit zu Dir. Ob ich Dich noch einmal wiedersehen werde? Das Leben ist so trostlos für mich geworden, so ohne jede Zukunft. Sei froh, - Du hast das Schwerste überstanden. Du kannst stolz sein, daß Du Deine Jungen gerettet hast. Vor Dir liegt eine Zukunft. Wie schön ist es, Jungen zu haben, 3 Jungen, Du Glückliche. Gott schütze sie und Dich! Grüße, bitte, Deine lieben Eltern von mir. Helene wird wohl auch von Dir über mein Schicksal hören, grüße auch sie von Herzen.

Behalte mich ein bißchen lieb.

Deine Sibylle.

Es ist vielleicht richtiger, Du adressierst an mich "Erna", das ist doch mein Taufname.

Nun leb' wohl! Grüße alle die Deinen viele Male von mir.

Von Herzen
Deine Sibylle

Ansvarig utgivare: Stefan Zenker, www.zenker.se

 
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