Brev från Gerd till Märta den 26 september 1946 (påbörjat den 2/9)

2. 9. 46.

Meine liebe, liebe Kleine!

Ich möchte Dir gleich von vornherein sagen, daß ich Dir nichts Besonderes mitzuteilen habe, denn sonst glaubst Du, das Wichtigste kommt wieder so nebenbei ganz zum Schluß! Du hast mich in der letzten Zeit recht stiefmütterlich behandelt, aber ich habe Dir ja auch seit langem keinen richtigen Brief geschrieben. Heute habe ich einen neuen Beweis dafür gehört, daß die Amerikaner das praktischste Volk sind. Wenn die Soldaten an ihre kleine Freundin in Chikago einen Brief verfassen, so schreiben sie: Liebe Maud, erst hier im alten Europa merke ich so richtig, wie unendlich ich Dich liebe. Tag und Nacht gehst Du mir nicht aus dem Sinn, und ..... und an dieser Stelle schneiden sie ein großes viereckiges Loch in den Briefbogen und an den unteren Rand dieser gewaltigen Öffnung schreiben sie: "Dein Dich auf ewig liebender Harry". Zeitverbrauch: 3 Minuten, Maud ist zufrieden mit Harry und schimpft auf die Zensur. Zur Nachahmung aber nicht empfohlen!! Jetzt werde ich lieber mit der guten, alten Conti schreiben, der Füller ist ein gar zu ekliges Möbelstück. Vielleicht bekomme ich einmal eine andere Feder für ihn. Es geht rapid bergab mit dem Jahr, jetzt ist es um acht (Sommerzeit) schon ganz finster. Ende der Woche fahre ich wieder (zum dritten Mal) nach Homburg, um den Katalog für S+R fertig zu machen. Ein paar Tage werde ich schon dort bleiben müssen. Ich habe eine Todesangst, daß Dr.Oschatz gerade dann kommt und mich aus irgendwelchen Gründen ganz dringend sprechen will, was glaubst Du? Aus Paris habe ich noch nichts gehört, vielleicht ganz gut so. Vor einigen Tagen klopft es an meine Türe, und wer tritt ein? — Marcelle! Mit ihren blutigroten Fingernägeln und ultraeleganten Schuhen paßte sie garnicht so recht in unsre kleinstädtische Biederkeit, und tatsächlich kam sie auch geradeswege aus Paris. Ich hätte nie gedacht, daß sie wirklich zurückkommen würde. Sie wohnt nämlich noch dazu bei einem Bauern direkt über dem Kuhstall! Da aber für ihren Mann in Frankreich keine gute Stellung zu finden war, ist sie doch zu ihm zurückgekommen. Ist das nicht eine Treue, wie sie sonst höchstens noch in einer Wagneroper zu finden ist? Ich bin jedenfalls recht froh, daß wir sie wiederhaben, da brauche ich mich nicht so viel mit dem entsetzlich langweiligen Korrigieren der englischen Texte abzugeben. Englisch spricht Frau v.Sch. ja so gut wie ihre Muttersprache.

26. 9. 46.

Mein liebstes Mädchen!

Ob ich Dir denn zur Fasterwürde gratulieren darf? Ich denke viel daran! Weine nur nicht, das kann jedem mal passieren, daß er unversehens Tante oder Onkel wird. Kenne ich. Und das andere Unglück, das mit den 30 Jahren, ist im Grunde ja man auch bloß halb so schlimm. Bedenke, daß ich mir bald, spätestens in drei Jahren, als uralter Opa vorkommen müßte, wenn Du ewig 29 bleiben wolltest. Tu mir doch das nicht an! Wo wir doch so prima zusammenpassen. - Als ich vor Müdigkeit taumelnd in mein gutes altes Junggesellenstübchen kam, lagen doch wahrhaftig fünf von Deinen geliebten Briefen auf dem Tisch. Nun bin ich wieder froh und zufrieden, das kannst Du mir glauben. Denn es ist garnicht hübsch, lange nichts von meiner kleinen Liebsten zu hören. Hab Dank! Vor allem für alle warme Liebe, der Du so beneidenswert gut Ausdruck geben kannst. Schönen Dank auch für alle die reizenden Bilder. Ich bin so stolz auf meine drei Staatskerle. Habe ich denn ein Recht dazu? Sie sind ja doch Dein Erziehungsprodukt. Als alter 33er glaube ich allerdings an die Bedeutung des Erbgutes, also bilde ich mir in Gottes Namen doch etwas ein. Es kann ja nichts schaden. Stefan und Rolf sind mir kein bißchen fremd geworden, sie haben ja noch ihre lieben alten Gesichter. Und Erik ist ein süßer kleiner Liebling. Wäre wohl fast ein Mädchen geworden? Drücke ihm bitte einen wohlgezielten väterlichen Kuß auf die Nase. Das Bildnis der vornehmen jungen Dame mit der wohlgepflegten hübschen Frisur darf ich als das meiner Frau betrachten? Junge Junge. Ich erkenne es an Deinen schönen Augen wieder, die mich so altvertraut anschauen. Aber wer wird denn so einen Fotografiermund machen? Ich bin mir noch nicht ganz klar, vielleicht ist es doch ein sehr gutes Bild. Jedenfalls kann ich mich mit ihm gut unterhalten. Und auf dem Badebild lerne ich endlich meine sympathische Schwägerin kennen, höchste Zeit! Oder ist sie es am Ende garnicht?

Oschatz ist im Augenblick verreist. Ob er wohl inzwischen etwas für mich hat? Zwei Deiner Briefe hat er mir auf den Tisch gelegt. Liebe, zu dem General in München kann ich nicht gehen, ohne daß Johansson sofort davon erfährt. Wenn die Sache so einfach wäre, säße ich schon längst nicht mehr hier! Die Herren in Paris, die nichts von sich hören lassen, werde ich doch: einmal wieder an meine Existenz erinnern. Es kann Ja nichts schaden, nicht wahr? Wehner schreibt ziemlich begeistert aus den Pyrenäen. Das einzige, worüber er zu klagen hat, ist der Dreck. Daran muß man sich anscheinend überall gewöhnen, wenn man unsere nördlichen und mittleren Breitengrade verläßt. Die arme Mia, hoffentlich akklimatisiert sie sich mit der Zeit doch etwas besser. Über die Nachricht über Brot-, Zucker- und Wohnungskalamität war ich ebenso fassungslos wie Du gewiß auch. Die Schwester eines Kollegen schreibt aus Argentinien, daß es dort in jeder Beziehung besser aussieht. Er ist auch ein kleiner Möchtegern und Kannichtso.

Als ich zwischen Frankfurt und Homburg mit der Straßenbahn an der Autobahn vorbeifuhr, sah ich einen großen weißgemalten Autobus mit einem großen roten Kreuz auf der Seitenwand und zwei Gepäckanhängern im Schlepp, der in eiliger Fahrt in Richtung Frankfurt-Basel vorüberbrauste. Das war "er" gewiß!

Wenn man den Esel nennt, kommt er auch schon angerennt. Eben war Dr.O. hier und las vor, daß Hennings Freund meine Lindauer Adresse haben will. Gott segne ihn. Wir haben jetzt eine lange Reihe von strahlend schönen Spätsommertagen gehabt,sodaß ich mir jeden Tag wieder wünsche, am Bodensee zu sitzen und Urlaub zu haben. Daran ist aber leider vorläufig nicht zu denken, die Arbeit hält mich hier eisern fest. Ich fürchte auch, daß man wichtigere Gründe als Urlaub haben muß, um über die Zonengrenze reisen zu dürfen.

Jetzt muß ich Dir einige fragen beantworten. Riemanns Adresse: Dipl.Ing. Paul R., Y., Kirchstr. 29. Er ist ein unternehmungslustiger Mann und fängt jetzt eine kleine Holzschuhfabrik an, wobei ihm die kath. Kirche hilft. Die Kinder sind reizend. Aber ihre Erziehung ist blödsinnig streng. Die armen Dinger bekommen Prügel von früh bis spät. — Frau Dr. K. Dörries, Münster (West) au wei, jetzt habe ich die Adresse doch nicht mehr. Lass sie Dir bitte von Mutti schicken. Vor längerer Zeit wolltest Du einmal Adressen von bekannten Kindern haben. Da finde ich eben einen Brief, in dem Mutti schreibt: Ich wünschte, ich könnte Anne Wellers Brigitte (11 Jahre) und Annemarie (9) auch nach Salta oder zu Helene schicken, sie nehmen seit dem Frühjahr ständig ab, das ist doch eine große Sorge. Auch Michael, Nannas Liebling, hat mit dem Herzen zu tun und ist sehr zart - alles Folgen der Ernährung. - Werden Kinder jetzt schon herausgelassen? Ich habe noch nicht davon gehört. Was sagst Du da, in einem großen und zwei kleinen Zimmern willst Du mich wohnen lassen? Wäre das nicht doch ein bißchen wie Dürerplatz? Bedenke, daß ich aus unsrer hochherrschaftlichen Mansardenwohnung in Klotzsche komme! Jedenfalls steht für mich fest, daß ich einen stundenlangen Weg zur Arbeit nicht scheuen würde, wenn ich dafür eine ausreichend große Wohnung mit einem richtigen Garten bekäme. 3/4 Stunden ins Hochzeitshotel - das wäre fabelhaft. Soviel ich weiß, liegen meine Chancen allerdings bedeutend weiter Südwestlich. Aber ich weiß nicht, ob ich mir annähernd richtige Vorstellungen mache, das ist von hier aus natürlich garnicht so leicht. - Für meine Zwecke ist es ganz gleich, ob die Zeitschriften 1938 oder 1948 erschienen sind, mir kommt es ja nur auf das Sprachliche und nicht auf das Technische an. Ist etwas aus dem Dresdner Abend in Stockholm geworden? Ich wäre so gern dabeigewesen. Ich kenne Deine Dresdner bezw. Radebeuler Bekannten ja zu wenig, als daß sie mir ans Herz gewachsen sein könnten, aber es wäre doch eine recht schöne Erinnerung an Dresden gewesen. - Mutti hat mir einen meiner uralten Hüte vorrichten lassen. Leider hat sie nicht daran gedacht, daß mein Wintermantel braun ist, und hat ihn dunkelblau färben lassen. Für Menschen mit künstlerischem Empfinden werde ich also kein erfreulicher Anblick sein. Wenn ich Dich treffe, werde ich den Bibbi rechtzeitig abnehmen und hinter dem Rücken verstecken. Meine Hemden gehen alle kaputt. Jetzt habe ich aber eine Schneiderin aufgetrieben, die sie mir wieder recht schön zusammenflicken kann. Ebenso einen Schuster, der ein Paar Schnürstiefel Größe 46 (!), die ich vor längerer Zeit aufgetrieben habe, kleiner macht. Ein schweres Stück Arbeit ist das übrigens. So gerüstet, können wir dem Winter mit allen Zwischenfällen, die er bringen kann, ruhig ins Auge sehen! Meine Lektüre, ja, eigentlich muß ich ja sagen, daß ich mit einem neuen schwedischen Buch garnichts anfangen könnte, denn erst müßte ich die auswendig lernen, die in meinem. Schrank stehen. Ich lese immer in Borta med vinden herum. Margaret Mitchell, eine wunderbare Frau, wie hat sie sich nur so in diese Kriegs- und Nachkriegszeiten hineinversetzen können, ohne unsere Erlebnisse gehabt zu haben. Bei jeder Seite muß man sagen: Ja, so ist es! Du darfst nicht glauben, daß ein Buch wie "Livet är kvar" einen abgeklärten Greis wie mich auch nur im geringsten in seinem Seelenfrieden stören kann. Du kennst vielleicht nicht das schone Gedicht, das Weinheber neulich, zu meinem Geburtstag gedichtet hat:

Mit siebenunddreißig. Die ferne Spur, der Liebe Spur/ längst verweht./ Im Traum bisweilen ein Stöhnen nur./ Spät zieh ich, tückischer Bürger, die Uhr -/ Zu spät.../ Wie komme ich aus? Aus der Zeit, aus dem Haus?/ Alle Türen bewacht!/ Und vor der letzten immer der Tod/ jetzt immer der Tod,/ Tag und Nacht! // Kein Heil, kein Trost, kein Vergessen, nichts./ Es ist das Schweigen des Jüngsten Gerichts.// Auch kein Gott./ Trotz den hundert Kirchen, kein Gott./ Nur dies in mich eingekerkerte Ich,/ meines Fleisches Spott/meine kalte Haut,/ mein Herz, vor dessen Schlag in der Nacht/ mir fürchterlich graut.

Grandios, nicht? Paßt wie die Faust aufs Auge. Von Hans und Suse hast Du auch nichts gehört? Seit Weihnachten 1944 habe ich nichts von ihnen zu hören und zu sehen gekriegt. Verstehe ich nicht. Es geht ihnen aber ganz gut, wie Mutti schreibt. Suse ist eine große Organisatorin. - Jetzt möchte ich gern wissen, wie spricht man denn Hennings Freund an? Exzellenz? Oder wie sonst? Ich bewundere Dich so wegen Deiner künstlerischen Bildung. In gewisser Hinsicht bist Du viel musikalischer als ich, ich kann mir absolut nicht merken, was nun die erste oder zweite Symphonie von Brahms ist. Meine musikalische Bildung erstreckt sich jetzt eigentlich mehr auf Jolly George, Sentimental Journey und ähnliche Kunstwerke.

Als ich von der Reise zurückkam, fand ich dieses Fragment in einer Schublade, und ich will es Dir nicht vorenthalten. Gute Nacht, mein Liebling, behaltet mich recht lieb!

Dein Gerd.

Ansvarig utgivare: Stefan Zenker, www.zenker.se

 
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Senast ändrat eller kontrollerat den 24 juni 2006.