Brev från Erna Tietze ("Sibylle") till Märta den 24 augusti 1946

Görlitz, den 24. VIII. 46

Meine liebe Märta,

Hoffentlich hast Du meinen ersten Brief nun erhalten. Ich habe inzwischen ein Telegramm aus Lübeck bekommen, daß ein Schwedenpaket für mich dort liege. Ich sandte das gewünschte Geld ein und muß nun warten, bis die Sendung eintrifft. Ich schreibe Dir natürlich sofort, wenn sie da ist. Schon jetzt aber will ich Dir von Herzen danken, daß Du an mich gedacht hast. Es tat so gut, wenn man sieht, daß es noch Menschen gibt, die sich um einen kümmern.

Ich verlebe jetzt meine 18 Urlaubstage hier in Görlitz, bin "zu Hause" bei meiner Schwester. Wie ist es gut, "daheim" zu sein, nicht mit fremden Leuten zusammen zu wohnen! Aber die Arbeit, die mich sonst jagt, die fehlt; ich habe Zeit, und das ist furchtbar, man ist dann ganz preisgegeben.

Morgen fahre ich zurück. Ich fürchte mich schon vor der Böttgerstr.; denn meine Wirtsleute waren natürlich auch froh, diese 3 Wochen allein zu sein.

Das Einzige, was mir die Rückkehr erleichtert, ist Karin Krüger. Schrieb ich Dir schon, daß mir diese Freundin meines Jungen sehr nahe gekommen ist? Ihre Bindung an Hans Christoph war viel tiefer, als ich annahm. Aber nicht deshalb allein ist sie mir so lieb, es ist seltsam, wie ähnlich sie mir ist. Wir verstehen uns sehr gut. Sie hat die Aufnahmeprüfung zur Akademie bestanden und will dort studieren, Künstlerin werden. Ihr Vater ist ja auch Kunstmaler. Sehnlichst wartet sie, daß die Akademie eröffnet wird, es sollte am 1. IX sein - hoffentlich wird's am 1. X.

Vor meiner Abreise war ich wegen Deines Schwedenpakets einmal kurz bei Mutter Zenker, sie hatte die Depesche ja erst an mich umadressieren lassen. Sie sieht nun wieder viel besser aus und hat die Folgen der Krankheit nun, Gott lob, überstanden. Hertha war nicht daheim. Ich sah sie auch nicht wieder, seitdem ich nach Dresden zurüch gekehrt bin; also seit 1 Jahr. Auch Otto und Nanna habe ich ebenso lange nicht zu Gesicht bekommen.

Es ist so schön, daß Görlitz kaum zerstört ist. Die Stadt mit all ihren schönen Türmen steht fast unversehrt. Hier kann ich wieder in die Stadt gehen, um einzukaufen. Das ist in Dr. ja nicht möglich denn der Stadtkern ist ja Trümmerfläche. Gewiß kommt es mir deshalb auch so vor, als ob es hier weit mehr zu kaufen gibt als bei uns. Aber traurig ist's, wenn man an die Neiße geht. Drüben schauen einen die Häuser wie mit toten Augen an - drüben liegt eine gestorbene Stadt, drüben ist Ausland, ist Polen. Jedesmal, wenn ich in Görlitz bin, gehe ich nach dem Blockhaus, einem Aussichtspunkt über der Neiße. Da grüßen Dich die blauen Linien des Riesen- u. Isargebirges, unten rauscht die Neiße. Da war ich überall mit meinem Jungen glücklich. Dicht am Blockhaus vorbei führt der "Viadukt" eine große Steinbogenbrücke über den Fluß. Wie schaut er aus! Symbol unseres Lebens! Der größte mittelste Pfeiler ist gesprengt, die Steintrümmer liegen im Wasser, die Schienenstränge hängen im Bogen nach unten; ein Draht - wohl die elektrische Leitung - ragt in die Luft, - ein grauenhafter Anblick der sinnlosen Zerstörung!

Wie geht es Dir und Deinen verehrten Eltern? Ich hörte so gern mal etwas von Deinen Buben. Nun ist Dein Stephan der Älteste der neuen Zenkergeneration. Es wäre schön, wenn Du mir einmal etwas von Deinem Leben erzählen wolltest! - Ich las hier wieder Verschiedenes von der Lagerlöf. Karin gab mir als Reiselektüre "Liliencronas Heimat", das sie sehr gern hat, mit. Dann las ich hier gleich weiter einzelne Novellen von ihr. Die Lagerlöf, das ist mir immer wie irgend eine Verbindung mit Dir, mit Schweden. Da sehe ich die hübschen, kleinen Dinge, die Du aus der Heimat mitbrachtest, oder Dein vielgestältes [?] Backwerk vor mir.

Nun leb' wohl! Grüße alle die Deinen viele Male von mir.

Von Herzen
Deine Sibylle

Ansvarig utgivare: Stefan Zenker, www.zenker.se

 
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Senast ändrat eller kontrollerat den 24 juni 2006.